Was für ein Steigerungslauf: eine Pflichtübung zum Auftakt (5:2 Italien), dann eine Gala (6:0 Dänemark), anschliessend Pausenplatzhockey (3:2 Kasachstan) und nun wildes Hollywood-Spektakel gegen die Slowakei (5:3).
Wildes Hollywood-Spektakel? Es ist die treffendste Bezeichnung für einen höchst kurzweiligen Abend. Die Schweizer sind so sehr in allen nur denkbaren Bereichen überlegen, dass es eine langweilige Partie hätte werden können. Aber es gelingt ihnen lange nicht, eine klare Überlegenheit (30:16 Torschüsse) in Tore umzuwandeln. Und so wird aus einer Partie, die eine Gala hätte sein können, ein wildes Zitterspiel, garniert mit kuriosen Treffern und schier unfassbaren Fehlern der Slowaken plus Disziplinlosigkeiten der Schweizer. So wie das eben auch auf diesem Niveau bei einem unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage sein kann.
Die Slowaken kassieren einen Treffer in Unterzahl (zum 0:1) und treffen in sage und schreibe 16:44 Minuten Überzahlspiel nicht. Dass sie trotzdem nie den Mut verloren haben, ist bemerkenswert. Sie mahnen mit ihren Aussetzern an Aufsteiger Ajoie im letzten Februar. Aber mit Ambris Mut im März.
Die Schweizer, die mit einem Eigentor von Tobias Geisser zum 3:4 dafür sorgen, dass es bis zum Schluss spannend bleibt, gebärden sich wie ein wildes, oft disziplinloses und unkonzentriertes Zug im April. Und haben Glück, dass sie am Ende doch als Sieger vom Eis gehen: Tomas Tatar, der Captain der Slowaken, NHL-Stürmer, hat das leere Tor vor sich – und trifft nicht zum 4:4. Die grösste vergebene Torchance eines Slowaken auf Weltniveau, seit Josef Golonka 1968 beim Olympischen Turnier im Schlussspiel gegen Schweden das 3:2 ins leere Tor und damit den Olympiasieg für die damalige Tschechoslowakei vergeben hat.
Die Frage ist nicht, ob die Schweizer gut genug sind für den Halbfinal oder den Final. Die Frage ist immer mehr: Wird es ihnen gelingen, ihre immensen Qualitäten – Tempo, Kreativität, Präzision, Wucht, Organisation, Mut – in den entscheidenden Partien zu einem perfekten Spiel zusammenzufassen und die Disziplin zu wahren? Oder wie es die Nordamerikaner sagen: We have all the tools, but no toolbox. Was frei übersetzt bedeutet: Wir haben alles, aber wir müssen es auf die Reihe bringen.
Die bange, zentrale Frage ist eben auch: Hat Patrick Fischer seine junge, wilde Mannschaft im Griff? Die Disziplinlosigkeiten, die in zwei Ausschlüssen wegen zu vielen Spielern auf dem Eis und im hässlichen Kniestich von Michael Fora gipfelten – der von den guten Schiedsrichtern richtigerweise mit einem Restausschluss sanktioniert wurde – sollte sich ein spielerisch so begnadetes Team auf diesem Niveau eigentlich nicht leisten. Timo Meier sagt denn auch nach dem Spektakel selbstkritisch: «Wir müssen disziplinierter spielen». Und findet, es sei schon ein etwas wildes Spiel gewesen. Patrick Fischer sagt dazu: «Wir waren etwas übermotiviert und das führte zu den vielen Strafen.»
Eine erste Antwort, ob Patrick Fischer seine Jungs im Griff hat oder ob sie einfach ein bisschen zu motiviert waren, werden wir bereits am Samstag gegen Kanada erhalten. Es ist ein erster «Clash of the Titans»: Die beiden schnellsten, besten Teams dieser Gruppe treffen aufeinander und der Sieger hat gute Chancen auf den Gruppensieg und einen vermeintlich leichteren Gegner im Viertelfinal.
Früher ging es für die Schweizer zu diesem Zeitpunkt des Turniers um die Qualifikation für den Viertelfinal. Jetzt um eine optimale Ausgangsposition für den Viertelfinal. Viermal gewonnen (wie zuletzt 2010 und 2013), aber nur einmal restlos überzeugt – so spielt trotz allem ein Geheimfavorit, der sich in den Gruppenspielen darauf konzentrieren kann, sein Spiel zu justieren, weil die Viertelfinals eh klar sind.
Beim Geheimfavoriten Schweiz geht es auch darum, die Disziplin wiederherzustellen.
Ich habe Zuversicht, dass wir noch viel Freude an diesem Team von Patrick Fischer haben werden. Hopp 🇨🇭!